„Et Laijemöbbesje erzählt“
„Der Steinbruch am Gaul“
Gude ihr Leut,
so wie jedes andere Wohnhaus auch, so muss auch meine beschauliche Laijemöbbesje-Behausung in der alten Wingertsmauer von Zeit zu Zeit einmal renoviert werden. Während ich das dafür notwenige Baumaterial früher problemlos direkt am Ort besorgen konnte, ist es in den letzten Jahrzehnten doch schwierig geworden, noch die richtigen Steine für die Instandhaltung meiner Wingertsmauer zu bekommen.
In Kestert gab es über die Jahrhunderte verschiedene Steinbrüche, welche an den unterschiedlichsten Punkten in der Gemarkung angesiedelt waren. Der größte Steinbruch allerdings befand sich „am Gaul“, in unmittelbarer Nähe der „kla Bach“. Schon die Steine für den Neubau der Filsener Kirche, der 1879 abgeschlossen wurde, wurden zum Teil dort gebrochen. Seine Blüte erlebte der Abbau am Gaul allerdings in den Jahren zwischen 1924 und 1935. Durch die Wirren des 1. Weltkrieges und den umfangreichen Verpflichtungen des Versailler Vertrages herrschte in Deutschland damals eine große Inflation mit einer damit verbundenen hohen Arbeitslosigkeit. Viele Kesterter Bürger fanden ihr karges Auskommen in dieser Zeit in den Steinbrüchen. Der Ausbau der Reichsstraße 42 und der Bau der Straße von Dahlheim nach Wellmich sorgten für einen hohen Bedarf an Bruchsteinen, wie sie in den Kesterter Steinbrüchen abgebaut wurden. Zur Verladung wurde sogar eine eigene kleine Feldbahn mit Loren für den Transport des Materials angelegt. Und auch die ortsansässigen Winzer und Obstbauern benötigten immerzu Nachschub an Steinen für den Bau und die Instandhaltung der zahlreichen Wingertsmauern. Auch so manches Wohnhaus, und so manche Einfriedung gründet auf den Bruchsteinen aus Kestert.
Heute liegen der Steinbruch am Gaul, und alle anderen Abbaustellen, still und verlassen da. Nur die fast 100m hohe Abbruchkante und die Schutthalden am Fuße des Felsmassivs künden von der einstigen Arbeit. Nur manchmal noch sehe ich dort Menschen Steine sammeln, um damit zum Beispiel den heimischen Garten zu verschönern. Seine einstige Bedeutung hat das Gelände lange verloren, wenngleich ich durchaus nochmal eine Fuhre Steine vom Rhein für die Renovierung meiner Laijemöbbesje-Wohnung gebrauchen könnte.
In diesem Sinne. Ich hoffe Sie bleiben mir treu.
Ihr Laijemöbbesje